Warum der ganze Hype um Haute Couture?

Bei den Stars auf dem roten Teppich ist fast nichts anderes möglich: Eine Haute Couture-Robe muss es sein, dazu unbezahlbarer Schmuck und im Zweifelsfall eine extravagante Hochsteck-Frisur. Und so entsteht dann leider auch das vorherrschende Bild der Haute Couture: Die Kreationen werden als sündhaft teure Fummel wahrgenommen, die für Normalos weder erschwinglich noch tragbar sind. Zeit, diese besondere Schneiderei unter die Lupe zu nehmen!

Atelier Versace auf der Pariser Haute Couture Fashion Week (Getty Images)

Es ist fast so wie mit Champagner! Die hohe Schneiderkunst ist seit 1868 unter dem Namen Haute Couture in Frankreich ein juristisch geschützter Begriff. Darunter fallen keineswegs alle Maßanfertigungen, die sich ein Kunde bei seinem Änderungsschneider leistet. Die Haut Couture-Designer sind Mitglieder der „Chambre Syndicale de la Haute Couture“, ein Interessenverband für die Aufrechterhaltung der Standards ihrer Kunst.

Wer hätte es gedacht? Ein Engländer hat’s erfunden!

Der erste, der mit den aufwendigen und enorm teuren Kleidern um die Ecke kam, war Charles Frederick Worth. Ein Engländer, der sich in Paris ins Mode-Business stürzte und dort auch sehr erfolgreich 1857 das erste große Modehaus unter dem Namen „Worth et Bobergh“ gründete. Wo sonst, als in der bekannten Rue de la Paix! Er hatte sich zuvor einen Namen bei den Weltausstellungen von 1851 in London und 1855 in Paris gemacht. Beides Mal gewann er den ersten Preis und die Goldmedaille für seine Kreationen aus Seide, die auch schon bei Königin Victoria und seiner späteren Frau, Mannequin Marie Augustine Vernet, großen Anklang fanden.

Kaiserin Elisabeth von Österreich und Ungarn in weißer Ballrobe auf einem Portrait von Franz Xaver Winterhalter aus dem Jahr 1865. (ddp images)

Schnell führte seine Kundenliste solche Namen wie Sissi (das berühmte weiße Ballkleid ist von Worth!), Kaiserin Eugénie am französischen Hof oder Pauline von Metternich. 1200 Näherinnen arbeiteten für den Designer, vier Modeschauen gab es pro Jahr und die Preise waren so wuchtig, dass selbst die betuchtesten Kundinnen bei Krinoline, Prinzeßkleid oder Turnüre schlucken mussten. Doch nicht nur die Fertigung, sondern auch der Service überzeugte die Ladys: Sie suchten sich nach Vorlage der Modelle einen Schnitt sowie den passenden Stoff aus – und bekamen die Kleider fix und fertig (normalerweise musste bei anderen Labels die hauseigene Näherin noch mal ran) in ihrer Größe inklusive edlem Etikett (ebenfalls ein Novum) in einer hübschen Verpackung nach Hause geliefert. Onlineshopping kannte damals noch niemand, Worth legte wohl aber den Grundstein.

Internationale Gäste in der Front Row

Prestige ist eines der Schlagwörter für die Haute Couture von heute. In der ersten Reihe der zwei Mal im Jahr stattfindenden Schauen sitzen vor allem Millionärinnen oder Millionärsgattinnen und internationale Filmstars aus Hollywood. Letztere fungieren als gute Marketing- und Werbestrategie, die ersten können es sich leisten, die Abend- und Tagesgarderoben mit den stolzen Preisen zu erwerben.

Bei Haute Couture-Designerin Guo Pei saßen im Januar 2016 nicht nur Stars wie Uma Thurman sondern auch die wohl am teuersten angezogenen Gäste in der ersten Reihe. (Getty Images)

Um sich als Designer auch Grand Couturier nennen zu dürfen und das Modehaus als Maison de Haute Couture zu vermarkten, müssen strenge Auflagen erfüllt werden: Das Unternehmen muss in Paris sitzen, ein Maß-Atelier ist Pflicht. Zudem müssen 15 Näherinnen in Vollzeit beschäftigt werden. Der Designer soll mindestens 35 Kreationen für die zwei Kollektionspräsentationen pro Jahr erschaffen. Seit 2009 gibt es auch Haute Couture Accessoires und seit 2010 darf sich luxuriöser Schmuck mit dem hübschen Namenszusatz dekorieren – sofern er die Kriterien dafür erfüllt. Früher wie heute streiten sich dann der Adel und der Geldadel oder nun die Stars und die Möchtegern-Stars um die schönsten Stücke.

Geht überhaupt mehr Luxus?

Sei es die Oscar-Verleihung, die Filmfestspiele in A bis Z, die Premiere hier und da oder der Wiener bis Moskauer Debütantinnen-Ball: Alle träumen von ihrer ganz eigenen Haute Couture-Robe. Häuser wie Chanel, Dior oder Valentino schicken ihre Agenten los, um möglichst viele talentierte und beliebte Stars einzukleiden und somit in die Medien zu kommen. Dabei ist es keineswegs so, dass der Star etwas dafür bezahlen muss. Er darf das Kleid aber auch nur in Ausnahmefällen behalten! Es ist ein gegenseitiges Geschäft: Leist du mir dein Kleid, mache ich für dich Werbung.

Schauspielerin Emma Stone bei der Oscar-Verleihung 2015 in einer Haute Couture-Robe von Elie Saab (Getty Images)

Danach geht es wieder zurück in den Kleiderschrank des Labels, oft auch ins Museum für namhafte Modeausstellungen. Aber nicht immer sind es nur die Abendroben, die über den Tisch wandern: kleine Sommermäntel, Seidenhosen mit unzählbaren Steinen, Stickereien, Federn, Perlen…, verzierte Blusen, Röcke, Tücher, Kleidchen, Pullöverchen. Sie alle finden dankbare Abnehmer bei der exaltierten Kundschaft. Es handelt sich schließlich um Unikate. Ebenso lassen sie sich als Kunstwerke bezeichnen. Absonderliche Dimensionen, Hut-Türme, halbnackte oder sonderbar vermummte Kleider und Hosenkombinationen sind keine Seltenheit, um teure Stoffe und die ausgefallenen Schnitttechniken darzubieten. Es geht eben mehr um Kunst, Kunsthandwerk und die Schneidermeisterei. Kein Vergleich also zu Prêt-à-porter oder zu „billig von der Stange“.

Das Aus oder der Aufschwung?

Kann sich Haute Couture heute fast keiner mehr leisten – weder die Modehäuser noch die Käufer? Von den ehemals über 100 Mitgliedern der Haute Couture waren vor einigen Jahren nur noch elf übrig. Manche machten sich nicht mal mehr den Aufwand, ihre Modelle auf öffentlichen Schauen vorzuführen, sondern bedienten das Klientel hinter verschlossenen Türen. Im Januar 2016 sind es immerhin schon wieder 25 Grands Couturiers, inklusive eingeladener und korrespondierender Mitglieder. Wo der heutige Massenmarkt gesättigt ist und die Modeliebhaber doch lieber zu einem Einzelstück und tiefer in die Tasche greifen, macht sich ein neuer Aufschwung für die Haute Couture bemerkbar. Und allein schon wegen der zahlreichen, besonderen und luxuriösen Handarbeits-Techniken sollte die hohe Schneiderkunst unterstützt, hofiert und zelebriert werden!

(Elisa Gianna Gerlach)